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RISO-RADAR
ZU BESUCH AUF DER BUCHMESSE „MISS READ“ |
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Sonntag, 24. September 2023 / Der Berlin-Marathon war gelaufen, die Grenzen geöffnet und auf komplett leeren Straßen radelte ich zur MISS READ, einer Messe für künstlerische Bücher und Kleinauflagen, teils handgedruckt und -gebunden, die fernab der großen Verlage ihre Existenz feiern. Ob ich in offizieller Mission hier war, als Supalifer? Gute Frage. Unterbewusst folgte ich jedenfalls einer Spur, doch konnte ich nicht ahnen, dass eine Menge loser Enden an diesem Tag zusammenfinden würden. Das ging gleich ziemlich gut los, muss ich sagen, saß doch direkt hinter dem Eingang die niederländische Künstlerin Lula Valletta (BUR-ROSE). Das erste mal sind wir uns 2018 im Laden begegnet. Damals hatte sie das Zine „PROPHIT“ unterm Arm, welches Collagen von zwanzig Künstlern präsentierte, vereinend graustufig risographiert, mit einem Vorwort des Musikers Jah Wobble (sollte mittlerweile vergriffen sein). Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man Lula mit einem Schnellzug vergleicht, immer unterwegs, den Gepäckwagen randvoll mit Publikationen, die im Eigenverlag erschienen sind, mit Drucken und Manifesten, die alle im dadaistischen Geiste verbunden sind. So zum Beispiel die unregelmäßig erscheinende Zeitung „DE ARPSIANIST“, welche uns Nachrichten der vergangenen 100 Jahre als üppiges Zwei-Farben-Riso-Cut-Up um die Ohren haut. Neu in ihrem Koffer ist eine Art Sci-Fi-Riso-How-To namens „RAIDA“, gedruckt für und in dem Riso-Studio STENCILWERCK in Den Haag – eine von Lulas vielen Wirkungsstädten. Da unsere Wege sich schon häufiger kreuzten, wird ihr Stand zu einer Art Bahnhofsmission für mich. Hier werde ich dutzende von Visitenkarten lagern und meine Notizen für diesen Text beginnen. Die nächsten Drucksachen, die mich in ihren Bann zogen, lagen auf dem Tisch von PER(R)UCHO, einer noch jungen Riso-Werkstatt, die in Valencia beheimatet ist. El Lissitzkys Kinderbuch „Von zwei Quadraten“ sprang mich förmlich an, mittlerweile hundert und ein Jahr alt, damals in Berlin erschienen und nun als Riso-Re-Issue erneut eingetroffen, in der Originalgröße, zweifarbig gedruckt, in den Farben Schwarz und hellem Rot und – als bescheidenen Zusatz zum russischen Original – mit einer spanischen Übersetzung ausgestattet. Das Buch, dass ich aber noch länger in den Händen halten werde, heißt „THE ZONE“. Eine Anspielung auf Tarkowskijs „STALKER“? In der Tat. Und gleichzeitig die Erinnerung eines Sohnes an seinen malenden Vater. Wunderschön. Es wirkt beinahe psychedelisch, wie berauscht blättert man die Seiten um. Eine der gedruckten Farben ist fluoreszierendes Pink. Es hat mich zum Nachdenken gebracht, warum nicht mehr Riso-Bücher in unserem Laden vertreten sind. Der Drucker an diesem Stand machte sich auch so seine Gedanken: Wie es in der Zukunft mit der Risographie bestellt ist und ob sich noch genügend Techniker finden lassen, die den Risographen auch warten können, wenn’s mal drauf ankommt. Mit diesen Fragen ließ ich den Spanier dann zurück und schlich weiter. Das nächste Buch, dass ich am Stand von LEPORELLO BOOKS wirklich jubelnd durchgeblättert habe, trägt den Titel „UTOPIE DATTILOTESSILI“ (viel Spaß beim übersetzen). Der Autor, wenn man ihn überhaupt so nennen kann, heißt Davide Tocco, stammt aus Italien und bezeichnet sich viel treffender als Textil-Designer. Zu sehen sind einhundert Reproduktionen getippter Schreibmaschinen-Grafiken. Den rot-schwarzen Farbbändern, seiner Maschinen entsprechend, wurden auch nur diese Farben für den Druck berücksichtigt. Drei mal dürfen sie raten, welches Druckverfahren angewendet wurde. Ein kleiner Tipp, es fängt mit den Buchstaben R-I-S-O an. Was die ästhetischen Qualitäten von reproduzierten Schreibmaschinenblättern angeht, halte ich die Risographie für die vermutlich perfekte Lösung. Der typisch krisselige Farbduktus der Riso-Farben passt einfach fabelhaft zu der feinen Nylon-Gewebestruktur der Farbbänder. Erwähnenswert an diesem Projekt, ist, dass es ohne die Zuhilfenahme von Designsoftware entstanden ist, sondern die getippten Seiten direkt vom Risographen eingescannt, bearbeitet und gedruckt wurden. Ziemlich gut! Kaum habe ich es geschafft, mich doch noch von dem Buch zu lösen, laufe ich doch glatt in Thomas Monses hinein, den ich schon seit Tagen per Email zu erreichen versuche, denn diese Geschichte begann im Prinzip vor mehr als einer Woche, mit der ganz harmlosen Suche nach unserem neuen „Bild des Monats“. Schnell waren wir uns einig, welche der eher jüngeren Arbeiten es werden könnte: „Ninja Machiya“, gedruckt von einem Künstler, der noch ganz neu in unserem Stall ist, besagter Thomas Monses. In seinem Studio in der Boddinstraße (MELO MELO PRINT) druckt er gemeinsam mit seiner Partnerin Maki Shimizu anspruchsvolle Risographien. Und genau darum geht es ja mittlerweile in diesem Text. Ich erzähle ihm, dass seine Arbeiten von uns gekürt wurden und bitte ihn um ein paar Worte zu seiner NINJA-Serie und mitten in dem ganzen Gewusel kommen wir also ins Gespräch. Wenn ich mehr über Risographien erfahren will, sollte ich am besten gleich mal mitkommen. Er möchte mich bei meiner Recherche unterstützen und führt mich buchstäblich auf die zweite Ebene, dort hin, wo die meisten Aussteller ihren Platz haben, dicht gedrungen, alle nebeneinander, keine Freilandhaltung, so viel steht fest! Irgendwo im Mittelfeld erreichen wir den Tisch von EINBUCH.HAUS, dort liegen Exemplare eines Ratgebers für Buchgestaltung namens „HOW TO BOOK IN BERLIN“, den er mir wärmstens empfiehlt und der – wenn ich mich recht irre – auch die Risographie zum Thema hat. Perfekt! Kurz vor 19 Uhr haben wir das Ende der Veranstaltung erreicht und zugegeben, ich war schon ziemlich besoffen in visueller Hinsicht, und genau in diesem Moment entdeckte ich den Stand des polnischen Riso-Studios, der sogenannten OFICYNA PERYFERIE. Hier erhaschten meine trägen Augen das letzte Werk auf diesem ganz persönlichen Marathon – „INSTYTUT“ lautet der Titel. Ein sehr assoziatives Buch, da es ohne erklärende Worte auskommt. Es will als Expedition eines nicht näher genannten Forschungsinstituts vertanden werden, eine Art visuelles Tagebuch, bestehend aus Einzelbildern und Collagen – selbstverständlich im Risographie-Verfahren gedruckt. Zum Dank meines Interesses, erhalte ich vom Chef (Michal Chojecki) die letzte Visitenkarte an diesem Sonntag, in Form eines risographierten Cut-Up-Faltblattes und darf zur Erinnerung noch ein Foto schießen. Schließlich ertönt der Gong und die Besucher werden gebeten zu gehen. Lula packt auch zusammen. Als wir raus an die Spree treten, ist es bereits dunkel geworden. Wir sind gut drauf, vielleicht sogar inspiriert, aber auch ausgelaugt. Vom Schöpferischen erschöpft. Als Supalifer beschäftigt mich das Thema Risographien schon länger. In regelmäßigen Abständen finden neue Risographien ihren Weg in den Laden und damit auch ins Tagesgeschäft. Das es relativ günstig ist, eine Risographie-Edition produzieren zu lassen und auch in technischer Hinsicht, weniger komplex zugeht, als beim Anfertigen von Siebdrucken (dem drucktechnischen „großen Bruder“?) muss sich in den letzten Jahren herumgesprochen haben. Kunststudenten, oder Leute, die eher als Maler, Illustratoren und Designer unterwegs sind, entdecken die Technik für sich und das Schönste daran; sie beflügeln sich mit ihren Ergebnissen gegenseitig – man spürt das hier richtig. In Berlin werden neue Riso-Studios aus dem Boden gestampft. Und wir kennen das ja, die Konkurrenz belebt das Geschäft. Jetzt darf man aber nicht glauben, dass wir im Supalife jede Risographie annehmen, oh nein! Wir sind da ziemlich wählerisch. Und wie gesagt, würde ich mich in Zukunft auch sehr über risographierte Buchprojekte freuen. Ich hab ja noch die ganzen Visitenkarten hier und werde mal den Anfang machen, denke ich. Danke für die Aufmerksmkeit Visitenkarten & Riso-Studios BUR-ROSE & STENCILWERCK (NL) PER-R-RUCHO (ES) MELO MELO PRINT (Berlin) OFICYNA PERYFERIE (POL) WE MAKE IT & HERBARIUM-RISO (Berlin) DRUCKEN 3000 (Berlin) Bücher zum Thema Risographie „EXPLORISO“ von Sven Tillack „RISOMANIA“ von John Z. Komurki Risographien im Supalife, u.a. von Thomas Monses Natalia Lisisnicchia Yves Haltner Mina Braun La Météo Michael Zander Poste Aérienne |
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